Die Suche nach dem grünen Schatz

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1. In der Bücherei

Mein Name ist Robert Jung. Ich bin 18 Jahre alt und hatte bis zu jenem 8. Mai ein eher beschauliches Leben geführt. Eigentlich hätte ich mir den Tag, an dem mein legendäres Abenteuer begonnen hatte, nicht im Kalender notiert, denn es war ein ganz normaler Tag gewesen, wenn man das Großstadtgewühl in meiner Heimatstadt Duisburg normal nennen kann.

Ich befand mich in der Stadtbücherei, um einige längst überfällige Bücher zurückzubringen. In den stillen Reihen mit wertvollen Büchern stach mir nach kurzer Zeit ein grünes Buch mit goldenen Lettern ins Auge, das mitten zwischen rot-braunen Bänden über historische Schlachten stand. Die giftige Farbe schien mich regelrecht anzuziehen, und so dauerte es nicht lange, bis das Buch aufgeschlagen vor mir auf einem Tisch lag.

Es enthielt viele Zitate wie „Wer suchet, der findet“ oder „Man ist nie so glücklich noch so unglücklich, wie man es sich einbildet“. Das Buch trug den spannenden Titel „Der Grüne Schatz“. Tatsächlich schien fast alles in diesem Band grün zu sein, angefangen von dem grünen Einband bis zu den grünen Bildern über ferne Länder. Dem Buch zufolge existierte der grüne Schatz wahrhaftig, den man aber zuerst finden musste. Es gab einige vage Angaben über den Verbleib dieses Geheimnisses, u.a. wurden Indien, China und Arabien genannt. Der Schatz bestand aber nicht aus Gold, dem heiligen Gral oder anderen materiellen Dingen, sondern er würde dem erfahrenen Sucher die wichtigste Wahrheit des Lebens offenbaren!

Ich war fasziniert! Sogleich beschloss ich, das Buch auszuleihen und mich zu Hause weiter darin zu vertiefen. Zu meinem großen Erstaunen erfuhr ich an der Ausleihe, dass „Der Grüne Schatz“ gar nicht aus der Bibliothek stammte, denn das Buch war weder registriert noch jemals ausgeliehen worden. Die ungeduldige Frau meinte, ich sollte mein mitgebrachtes Buch schnell wieder einstecken. So verließ ich das Gebäude mit diesem seltsamen Buch. Meine Ehrfurcht vor ihm war deutlich gewachsen! Diesem Geheimnis musste ich unbedingt auf die Spur kommen!

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2. Beginn der Reise

Zu Hause angekommen las ich das grüne Buch sogleich durch. Mittlerweile war ich wild entschlossen, den grünen Schatz zu finden. Auf der beiliegenden Karte fiel mir als erstes Indien in einem hellen türkisgrün auf. Deshalb begann ich, alles für meine große Reise zu planen und packte zuerst mein Buschmesser ein.

Dann fuhr ich zur nächsten Tankstelle, wo ich mein Auto volltankte. Dort erkundigte ich mich freundlich, wie ich auf dem schnellsten Weg nach Indien käme. Der Inhaber schaute mich etwas irritiert an und meinte, zur Nerven-Heil-Anstalt ginge es in die entgegengesetzte Richtung. Doch ich kannte niemanden in der Nerven-Heil-Anstalt und konnte daher nicht nachvollziehen, was ich an diesem Ort zu suchen hatte.

Also ging ich ins nächste Reisebüro, wo ich erfuhr, dass eine Autofahrt nach Indien wohl mehrere Wochen bedeutete. Deshalb buchte ich ein Flugticket in die indische Stadt Mumbai. Mein Abenteuer konnte beginnen!
Am nächsten Tag war alles zur Abreise bereit: Im Flieger schnallte ich mich an und musterte interessiert meine Mitreisenden. Viele von ihnen schienen Vorträge oder Arbeit mitzunehmen, was ich an ihren „Geschäftsmann-Kragen“ erkennen konnte. Außerdem blätterten einige nervös in ihren Mappen.

Dann begann der Start: Ich erschrak, denn es war wie ein Riesenschub nach vorne, der lange andauerte. Um abzuheben musste ein Flugzeug zuerst schneller als ein Rennwagen fahren! Dann hoben wir ab, und ich erhielt von der netten Stewardess ein Kaugummi, damit ich das unangenehme Knacken in meinen Ohren loswerden konnte.

Das Wetter draußen veränderte sich rasch, denn ich konnte das Trommeln des Regens hören. Damit ich bei der wichtigen Suche nach dem grünen Schatz auch voller Kraft und Bewusstsein war, beschloss ich, den Flug als gute Gelegenheit für ein ausreichendes Nickerchen zu nutzen. Gähnend lehnte ich mich zurück und schlief ein.

 

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3. Indien

Nach einigen Stunden wachte ich auf und war ich in der indischen Millionenstadt Mumbai, dem früheren Bombay, gelandet. Dort erlebte ich als erstes einen gewaltigen Kulturschock. Die Straßen waren voller Menschenmassen, und ich hatte das Gefühl, dass mich alle Inder anstarrten. Ich sah an mir herunter und stellte fest, dass ich anders als die Einheimischen angezogen war. Das änderte ich als erstes.

Auf einmal sah ich einige Schlangenbeschwörer, von denen mehrere mir und ihren grünen Schlangen durch ihr Gefiedel Kopfschmerzen bereiteten. Ich verstand nun, dass es wohl gut für die Schlangen war, dass sie von Natur aus keine Ohren besaßen.

Sogleich fielen mir die vielen Kühe auf, die auf den Straßen herumliefen. Dadurch wurde mir schnell bewusst, dass Kühe in Indien als heilig galten und deshalb weder geschlachtet noch verjagt werden durften. Cowboys scheinen hier also einen relativ schlechten Stand zu haben!

Auf der Suche nach dem grünen Schatz betrachtete ich eingehend die indischen Gottheiten. Angefangen von der tänzerisch begabten blauen Shiva – die leider kein grün enthielt – bis hin zu dem elefantenköpfigen Ganesa und dem mehrhändigen, rothäutigen Schnurrbartträger Agni sah ich leider überhaupt keine grünen Götter.

Deshalb zog ich in den indischen Regenwald, wo ich graue indische Elefanten entdeckte, die dort zum großen Teil noch lebten. Glücklicherweise gab es dort heute kaum mehr wildlebende Tiger und Raubtiere, und so konnte ich recht sicher durch die Gegend ziehen. Leider fand ich dort auch keinen grünen Schatz! So kam ich recht schnell zu dem Schluss, dass ich das grüne Geheimnis hier wohl nicht aufdecken konnte.

Beim Blick im mein mysteriöses Buch wurde ich darin bestärkt, bald weiter zu reisen. Dort war eine kleine Landkarte beigefügt, die in unterschiedlichen Grüntönen eingefärbt war: Indien war türkisgrün, während viele arabische Länder in froschgrün eingefärbt waren. Ich plante daher, gleich von hier aus weiter nach Arabien zu fliegen. Denn ich hatte ja die Mission, unbedingt das grüne Glück zu finden, was mich schon etwas unruhig werden ließ. Mögen die indischen Götter mir beistehen!

 

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4. Saudi-Arabien

Die Reise nach Arabien sollte sich wesentlich komplizierter gestalten als die nach Indien. Zum einen waren die arabischen Länder deutlich größer als der kleine Wurmfortsatz Indien an Pakistan und Tibet. Ich musste mich auch für ein arabisches Land entscheiden! Da Saudi-Arabien das kräftigste Grün hatte, wählte ich dieses Land. Zum anderen sollte es in den arabischen Ländern noch heißer sein, und ich war ja nun ganz auf indische Kleidung spezialisiert.

Nach meiner Ankunft in Riad in Saudi-Arabien kleidete ich mich zuerst wie die Einheimischen ein, Dann erkundigte ich mich sofort bei dem Verkäufer nach der Farbe grün. Ich wurde darüber informiert, dass grün im Islam eine wichtige Bedeutung hat, denn diese Farbe gehört zu Mohammed. Er selbst erklärte sie zu seiner Lieblingsfarbe. Deshalb trug er stets einen grünen Mantel und Turban. Mohammed soll mit einer grünen goldbestickten Fahne in den Krieg gezogen sein und so ganz Mekka erobert haben. Deshalb ist grün auch heute noch als Farbe in den Flaggen vieler arabischer Staaten zu finden.

Daneben gilt grün auch als die lebensspendende Farbe aller Wüstenvölker, die darunter meistens Oasen verstehen, denn dort wächst ja grüne Natur. In einer Oase sah ich überraschend viele Kamele. Man konnte sie sogar als Bratenfleisch beim Schlachter kaufen. Leider hatte ihre ungeheure Nützlichkeit ihnen keinen Schutz bei den Einheimischen eingebracht.

Später erfuhr ich bei einer Tasse Tee von einem arabischen Gelehrten, dass grün als Symbol in der arabischen Welt noch älter als Mohammed war. Der islamische Heilige al-Chadir – auch der grüne Mann genannt – war eine Sagengestalt, die die Nomaden in der Wüste zum Wasser geführt hatte. Nach der Sage wanderte al-Chadir durch das Reich der Finsternis, bis er zu einem hellen, weißen Felsen kam, wo er die Quelle des Lebens erreichte. Nachdem er das kostbare Wasser getrunken hatte, wurde sein Gewand grün, und er erlangte Unsterblichkeit.

Das war alles äußerst interessant, aber da Mohammed und al-Chadir mittlerweile verstorben waren, hatte ich die Gewissheit, dass ich jetzt den grünen Schatz hier nicht mehr finden würde, weshalb meine arabische Reise wohl schon zu Ende war.

 

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5. Ägypten

Ich landete mit dem Flugzeug in Kairo. Der Flug dauerte nicht lange. Schnell erreichte ich Ägypten, das Reich der Pharaonen mit dem Tal der Könige! Die Pyramiden als Weltwunder waren natürlich auch in Deutschland hochgelobt. Seit Obelix fehlte der steinernen Sphinx angeblich immer noch die Nase, weil er unbedingt da hinauf klettern musste. Archäologen machen aber weiterhin allein den Wüstensand dafür verantwortlich.

Hier recherchierte ich zunächst nach dem grünen Smaragd, denn bereits im 13. Jahrhundert v. Chr. wurden diese Edelsteine in den ägyptischen Bergwerken gewonnen und als Modeschmuck getragen.

Vielleicht tat es aber auch der grüne Halbedelstein Malachit? Dieser wurde gemahlen und mit Eiweiß, Akazienharz oder Feigenmilch – so genau hatte ich es nicht erfahren – verrührt, bis eine smaragdgrüne Malfarbe oder auf deutsch „Schminke“ entstand. Das diente schon den antiken ägyptischen Frauen zum Färben ihrer Augenlider. Sie waren offenbar genauso eitel wie die heutigen Damen!

Bei meiner Edelsteinsuche fand ich nicht den grünen Schatz. Wenn es diesen Schatz dort einmal gab, dann war er entweder schon entdeckt und daher gestohlen worden. Oder aber, er wurde bisher noch nicht entdeckt, und ich konnte deshalb auch nicht nach ihm fragen.

Leider leuchtete auch der Skarabäuskäfer, der schon im ägyptischen Altertum sehr bekannt war, nicht in grün, sondern in violett. Das half mir also auch nicht weiter.

Also suchte ich die größten Bauwerke Ägyptens auf – die geheimnisvollen Pyramiden! War dort vielleicht der grüne Schatz versteckt? Wenn ja, dann hatte ich großes Pech, denn leider wurden die Gräber früher oft geplündert. Und wenn der Schatz noch nicht von den weltbesten Archäologen entdeckt worden war, dann hatte ich sicher erst recht kein Glück dabei.

Als ich daraufhin die Karte in dem grünen Buch nochmals studiert hatte, entdeckte ich, dass China olivgrün eingezeichnet war. Ich musste mir also wieder ein neues Flugticket kaufen und woanders weiter suchen!

 

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6. China

Mein Flugzeug brachte mich nach Peking, was auch Bejing genannt wurde.

Bei meiner Einkleidung in die ortsübliche Tracht fragte ich zunächst wieder nach grün, erfuhr dann aber als erstes die Bedeutung von rot: Anders als bei uns Christen wird rot in China nicht mit Sünde, Zorn oder Blut der Märtyrer in Verbindung gebracht, sondern diese Farbe gilt hier als Symbol für Freude, Glück und ewigen Sommer. Rot wird daher gerne für Geschenkpapier verwendet, und früher wurde sogar in rot geheiratet. Doch auch hier tritt die Braut heute lieber in weiß auf, was ich bedauerte, denn ich mag traditionelle Vermählungen.

Bei meiner Suche nach dem grünen Schatz entdeckte ich viele grüne Drachen, die in China als Symbol für Wissen und Weisheit galten, anders also als die giftgrünen Drachen bei uns im Westen. Auf zeremoniellen Gewändern zeigte seine Farbe und die Anzahl der Klauen den Rang des Trägers an. Der gelbe Drache mit fünf Klauen blieb ausschließlich dem Kaiser selbst vorbehalten. Vielleicht war der goldene Drache deshalb so schlangenförmig verbogen, damit er an den gelben Fluss Asiens erinnerte? Der Drache symbolisierte nämlich das Element Wasser.

Ein weiser Chinese erklärte mir, dass es hier seit alters her die daoistische Fünf-Elemente-Lehre zur Naturbeschreibung gab, wobei grün meistens mit Holz in Verbindung gebracht wurde, gelb mit der Erde und blau mit Wasser. Das verwirrte mich natürlich, wenn man wie ich nur den grünen Schatz finden wollte und all die anderen Farben einem eher ziemlich egal waren.

Doch vielleicht war das ja der Sinn hinter dieser Reise? Zu erkennen, dass grün ohne die anderen Farben gar nicht existieren konnte? Grün ist ja selbst eine Farbmischung aus gelb und blau. Schließlich gab es auch in dem mysteriösen Buch nicht das reine Grün, sondern es enthielt immer eine Vermischung mit anderen Farben.

Der weise Chinese gab mir dann den abschließenden Rat: „Suche das grüne Glück in deiner Heimat!“

Also hatte ich auch hier wieder nicht den grünen Schatz gefunden! Ich gab auf und flog frustriert und mit einer Menge unbezahlter Reisekosten zurück in meine Heimat nach Deutschland. Die Lehren des ehrenwerten Konfuzius sollen mich demnächst sparsamer und umsichtiger machen!

 

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7. Wieder zu Hause in Duisburg

Mittlerweile wusste ich nicht mehr weiter! Jetzt war ich nach Deutschland zurückgekehrt und hatte immer noch keine Ahnung, wo sich der grüne Schatz befand.

Vielleicht sollte ich eine kleine Erholungstour durch die Wälder und Parks in meinem Heimatort Duisburg machen? Das konnte mich sicher auf andere Gedanken bringen! Während ich durch die wunderschöne Natur wanderte, im Stadtwald spazieren ging und durch den Botanischen Garten schlenderte, nahm ich von allen Seiten die blühenden Bäume und Blumenfelder wahr. Da bemerkte ich es von überall her: Grün, grün nichts als grün!
Plötzlich kam mir die Erkenntnis: Man muss nicht erst um den halben Globus reisen, um die grüne Weisheit zu finden! Sie war die ganze Zeit bei mir Zuhause gewesen! Warum war ich nicht schon früher darauf gekommen? Ich hätte mir so vieles ersparen können!

Aber auch wenn die weiten Reisen sehr anstrengend und die Flüge sehr teuer waren, so hatte mir diese Suche doch etwas gebracht: Erfahrung und Ehrfurcht vor den fernen Wundern dieser Welt!

Nachdem ich so viele Erkenntnisse gesammelt hatte, und nun endlich den grünen Schatz gefunden hatte, fühlte ich mich wirklich rundherum zufrieden und glücklich!

Ich betrachtete das Buch, das mich zu diesem Ort geführt hatte und beschloss, es hinter einem Busch zu verstecken. Vielleicht würde es irgendwann von einem anderen Abenteurer gefunden werden, der ebenfalls dem Ruf nach dem grünen Schatz folgen würde. Dabei kann er ähnliche Erfahrungen wie ich auf einer langen Reise machen und auch zur wahren Erkenntnis gelangen.

Vielleicht bist du ja derjenige, der das Buch findet? Ich wünsche dir viel Glück!